Totentanz von Johann Rudolf Schellenberg

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Frontispiz und Titelblatt
Beschreibung

J. R. Schellenberg, Freund Heins Erscheinungen in Holbeins Manier, Winterthur 1785.

Die 24 Tafeln und das Frontispiz zeigen einen modernen zeitgenössischen Totentanz aus dem späten 18. Jahrhundert, geschaffen für ein bürgerliches Publikum. Es sind keine Kopien nach Holbein. An Holbein erinnert nur der Umstand, dass der Tod die Menschen bei alltäglichen Verrichtungen oder während vergnüglichen Momenten überrascht. Die Szenen sind in die letzten Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts versetzt. Sie sind thematisch unverbunden aneinander gereiht. Jede Hierarchie ist aufgehoben. Die Menschen tragen – manchmal auch das Skelett – zeitgenössische Kleider. Auch viele Motive sind modern und haben mit dem mittelalterlichen Totentanz nichts gemein, so der Toilettenbesuch, der Aerostat (das Luftschiff), die Schulvisitation, die Aufhebung der Klöster, der Lottospieler, die Wienerin mit der Römerin, der Equilibrist (Seiltänzer) und die Freimaurerloge.

Modern ist auch der Verzicht auf jeden Hinweis eines möglichen Weiterlebens Es fehlen Darstellungen wie der Vertreibung aus dem Paradies oder das Jüngste Gericht. Schellenbergs Totentanz steht nicht mehr im Dienst von Religion und Kirche. Nie ist die Rede von Sünde, aber oft von Laster, Untugend und Unvernunft. Mit Ironie und Spott schildert er das lasterhafte und dumme Verhalten der Menschen, die den Tod durch ihr unvernünftiges Verhalten manchmal selbst herbeiführen. Der Mensch soll sich ändern, nicht weil ewige Verdamnis droht, sondern weil dummes Verhalten ins Verderben führt. Mässigung und Vernunft führen zu einem guten und erfüllten Leben und nehmen dem Tod viel von seinem Schrecken. Der Tod, auch bei Schellenberg noch als als Skelett dargestellt, kann ein Freund Hein, eine Wortschöpfung von Matthias Claudius (1740-1815), werden. Schellenbergs Totentanz – weitgehend gelöst von seinen Vorgängern – ist eingebettet in die aufklärerische Debatte des 18. Jahrhunderts über die Darstellung des Todes, die 1769 durch Gotthold Ephraim Lessing ausgelöst worden war. Er ist das seltene Beispiel eines Totentanzes protestantischer Provenienz.

Lage

Gemeinde
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Kanton
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Datierung

1785.

Künstler

Radierungen von Johann Rudolf Schellenberg (1740-1806) aus Winterthur, Texte von Johann Karl August Musäus (1735-1787) aus Weimar.

Auftraggeber

Initiator war Schellenberg selbst, der als Mitarbeiter von Christian von Mechels Neuausgabe der Totentanzbilder von Hans Holbein d. J. zeitweise in Basel war und dort auch den mittelalterlichen Totentanz an der Friedhofsmauerbeim ehemaligen Dominikanerkloster gesehen haben dürfte.

Restaurierungen

Neuausgabe mit Nachstichen der Tafeln 1803 in Mannheim.

Beschaffenheit

Radierungen und Buchdruck. Die in Tuschzeichnung ausgeführten Entwürfe Schellenbergs befinden sich beim Kunstverein Winterthur.

Masse

Plattengrösse ca. 13,3 cm hoch, ca. 8,5 cm lang. Die Seitenhöhe beträgt ca. 19 cm, die Seitenlänge ca. 11 cm.

Inschriften

Die Bildtafeln sind mit Texten in Reimform und Prosa versehen.

Literatur

Johann Anselm Steiger, Matthias Claudius (174 0-1815) – Totentanz, Humor, Narretei und Sokratik. Mit dem Totentanz von J. K. A. Musäus und J. R. Schellenberg (1785) und zahlreichen weiteren Illustratoren, Heidelberg 2002.

Uli Wunderlich, Freund Heins Erscheinungen in Holbeins Manier. Das Totentanzbüchlein des Schweizer Kupferstechers Johann Rudolf Schellenberg (1740-1806), in: Totentanz-Forschungen. Referate vom Internationalen Kongress in Luzern 1996, Zug 1996, S. 28-33.

Uli Wunderlich, „Aber, ihr Herren, der Tod ist so aesthetisch doch nichtt“ – Über Literarische Totentänze der Aufklärung, in: Das Achtzehnte Jahrhundert, Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für die Erforschung des 18. Jahrhunderts, Jahrgang 21 (1997) S. 69-84.

Brigitte Thanner, Schweizerische Buchillustration im Zeitalter der Aufklärung am Beispiel von Johann Rudolf Schellenberg, 2 Bde, Winterthur 1987.

Bilder

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Gestörte Liebe
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Toiletten-Besuch
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Der Aerostat
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Schulvisitation
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Böse Spende
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Getäuschte Erwartung
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Unwillkommene Dienstbeflissenheit
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Aufhebung des Klosters
Bildnachweis

Franz Egger, nach einem Exemplar in der Universitätsbibliothek Basel.

Erfassung

Franz Egger.