Die Darstellung in der Kirche Notre Dame zeigt unter einem Baldachin und einem Sternenhimmel links die drei Lebenden und rechts die drei Toten, die sich gegenseitig betrachten. Beide Gruppen haben Kronen auf ihren Häuptern, Attribute von Edelleuten (Könige, Grafen, Herzöge). Die drei Lebenden tragen bis auf den Boden fallende Gewänder, die Arme heben sie hoch, jeder in unterschiedlicher Haltung. Ihre Blicke richten sich auf die drei Toten. Unter der Krone reichen ihre Haare fast bis auf die Schultern. Die drei nackten Toten, vielleicht die Vorfahren der Lebenden, betrachten die andern mit starrem Blick. Der Vorderste lässt beide Hände fallen, die beiden andern zeigen mit dem rechten Arm auf die linke Schulter, ihr linker Arm fällt nach unten.
Die Legende besagt, dass drei vornehme Männer, oft auch die drei Lebensalter darstellend, auf dem Weg zur Jagd an einem Friedhof vorbeikommen und plötzlich den drei Toten, in unterschiedlichen Verwesungszuständen, gegenüberstehen. Diese beginnen über ihr Leben zu berichten, das von Genusssucht und Hochmut geprägt war und unweigerlich zum Tode führen musste. Die Aussage gipfelt im Satz: «Was ihr seid, das waren wir; was wir sind, das werdet ihr».
Lage
Reformierte Kirche Notre Dame in Orbe, Bezirkshauptort im Kanton Vaud.
Die Darstellung der drei Lebenden und der drei Toten befindet sich im oberen Teil der breiten Laibung des rechten Chorfensters.
Datierung
Beginn 15. Jahrhundert
Künstler
unbekannt
Auftraggeber
unbekannt
Restaurierungen
mehrmals überarbeitet, vor allem 1933-1934 durch Correvon und letztmals 2022-2024.
Beschaffenheit
Wandmalerei, wahrscheinlich eine Kalkmalerei/Kalkfarbe. Nur kleine Fragmente der ursprünglichen Malerei sind erhalten. Der heutige Zustand ist zum grossen Teil eine Rekonstruktion von Correvon mit Leimfarbe.
Die Darstellung verrät den schweren Stil spätgotischer Ausmalung in vielen Landkirchen.
Masse
~ 180 x 120 cm
Inschriften
Der oft an dieser Stelle angeführte Spruch «Was ihr seid, das waren wir; was wir sind, das werdet ihr» fehlt.
Bemerkungen
Die fünfschiffige Kirche stellt ein bedeutendes Bauwerk im Flamboyantstil der Spätgotik dar. Der Chor datiert aus dem 15. Jh. und das Kirchenschiff wurde 1522-1525 durch den Architekten und Künstler Antoine Lagnaz umgestaltet. Die Besonderheit dieses Gotteshauses machen die Kurvenrippen der Sterngewölbe und die teilweise skurrilen Figuren aus, die sich von der Gewölbedecke lösen und in hängenden Schlusssteinen enden. Sie gelten als seltene Beispiele von Abhänglingen in der Schweiz, wie auch die figürlichen Konsolen im Mittelschiff. Die hier gezeigte Figurenwelt ist einzigartig im Kanton Vaud.
Die Kirche gilt als Schweizer Kulturgut von nationaler Bedeutung.
Literatur
Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte (Hg.), Kunstführer durch die Schweiz, Bern 1976, Bd.2, S. 232-238
Guide artistique de la Suisse Jura, Jura bernois, Neuchâtel, Vaud, Genève, tome 4a, pp. 333-334, Berne, société d’histoire de l’art en Suisse, 2011
Grandjean Marcel, L’architecture religieuse en Suisse romande et dans l’ancien diocèse de Genève à la fin de l’époque gothique : Développement, sources et contexte, Cahiers d’archéologie romande nos 157-158, Lausanne, 2015
Reiner Sörries, Tanz der Toten – Todestanz. Der monumentale Totentanz im deutschsprachigen Raum, Dettelbach 1998, S. 21, 80
Hans Georg Wehrens, Der Totentanz im alemannischen Sprachraum, Regensburg 2012, S. 25
https://de.wikipedia.org/wiki/ Die drei Lebenden und die drei Toten
https://www.ziereis-faksimiles.de/wissenswelten/von-kunst-und-geschichte/die-legende-von- den-drei-lebenden-und-den-drei-toten
Bilder
Walter Matti